Rez. CD-ROM: Schlindwein ueber "Historica. Weltgeschichte ..."

Titel
Historica. Weltgeschichte multimedial erleben.. Für Jugendliche und Erwachsene


Herausgeber
Cornelsen software
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
99.00 DM
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Schlindwein, Dr. Benno, Gundelfingen

Nach der Intention des Verlages Cornelsen software ist Historica eine "ebenso spannende wie informative Lektüre für alle geschichtsinteressierten Leser". Der Adressatenkreis "Leser" verwundert ein wenig angesichts des Versprechens eines multimedialen Erlebnisses im Untertitel. Im "Lernsoftware-Katalog 1997", welcher dem Paket beiliegt, wird ab Jahrgangsstufe 5, d.h. etwa 10. Lebensjahr, bis zur EB (= Erwachsenenbildung) praktisch ein alle Altersstufen umfassender Nutzerkreis anvisiert. An keiner Stelle des beiliegenden Erläuterungsheftes finden sich differenzierende alters- oder bildungsspezifische Hinweise zur Nutzung der CD-ROM, d. h. hier kann jedermann Weltgeschichte interaktiv "erleben".

Das Beiheft bietet nach den üblichen "Technischen Hinweisen" eine detaillierte Anleitung zur Orientierung in den 49 Szenarien, in welche die Weltgeschichte aufgelöst ist. Es folgen ein Verzeichnis der in 5 Blöcke (Ur- und Frühgeschichte, Antike, Mittelalter, Die Neuzeit, 19. Jahrhundert bis heute) gegliederten Szenarien, denen noch vier "Übergreifende Themen" (Entwicklung des Ackerbaus, Bevölkerungswachstum, Ausbreitung der Religionen, Geschichte der Schrift) folgen. Der abschließende "Anhang" ist gleichsam das Impressum, welches den italienischen Background der CD-ROM ausführlich belegt.

Technische Hinweise:
Als Mindestausstattung des Multimedia-PCs wird ein 486 Prozessor mit 4 MB Arbeitsspeicher, 8 MB virtueller Speicher, 8 MB freier Speicherplatz auf der Festplatte und natürlich MS-Maus, WINDOWS 3.1, SVGA-Grafikkarte (256 Farben), Soundkarte 8 Bit Sound Blaster und Doublespeed-CD-ROM-Laufwerk verlangt. Alle höheren Konfigurationen bieten selbstredend eine bessere Nutzung der CD-ROM.

Die Installation klappt problemlos. Detaillierte Angaben im Beiheft, dessen Texte wieder in der "Lies-mich-Datei" auftauchen, zu Grafikmodus, Speicher, Nutzung der Videosequenzen und Dekomprimierung der Audio-Files sind vor allem für WINDOWS 3.1-User hilfreich.

Das Starten soll über den Doppelklick auf das Icon "Historica" erfolgen. Entgegen der Anleitung ist aber die Verknüpfung zur EXE-Datei über den Desktop nicht möglich. Es folgt nur ein Hinweisfenster "Auf die Dateien von Historica kann nicht zugegriffen werden", gefolgt von weiteren Anweisungen. Bei der Verknüpfung auf dem Desktop fehlen bei der Registerkarte "Verknüpfung" unter "Eigenschaften" bei "Ziel" jedenfalls folgende Parameter "DIR=d:\DATA\FAST=c:\HISTORICA\FAST\SPEED=LOW".

Das Programm kann aber problemlos über den MS-Explorer als EXE-Datei aufgerufen werden.

Eine Hotline von Cornelsen software hilft bei der Behebung technischer Probleme. Abgesehen von den o.g. Startunsicherheiten kam es bei der Nutzung der CD-ROM zu keinen technischen Aussetzern.

Das Hauptmenü:
Nach dem unvermeidlichen Vorspann erscheint als Hauptmenü eine interessante, da Interesse weckende Zeitleiste. Das Hauptmenü bietet neben "Hilfe", "Chronologie", "Zeitleiste", "Index", "Inhalt" und "Ende" einen verschiebbaren, mehrere Jahrhunderte umspannenden Zeitbalken, welcher die darüber angeordneten Szenarien vorbeigleiten läßt.

Die voreingestellte Zeitleiste beinhaltet eine Synopse, welche auf einer Zeitachse die als farbige Balken beschrifteten Szenarien vorstellt. Durch Antippen eines Balkens klappt ein einprägsames Szenenbild hoch, und nach Anklicken erscheint das eigentliche Szenarium selbst.

Die Chronologie ist in drei geographische Bereiche (Asien und Naher Osten - Europa - Amerika, Afrika, Ozeanien) unterteilt, welche dem Betrachter die synchronen Zusammenhänge geschichtlicher Daten vor Augen führen. Klickt man ein rotes DARUM an, wird man unmittelbar zu dem entsprechenden Szenarium geführt. Dort kann man die Suche nach detaillierteren chronologischen Informationen fortsetzen - eine brauchbare Begleitung durch die Jahrhunderte, Jahrzehnte und Jahre.

Der Index, das Sach- und Personenverzeichnis der CD-ROM, ist (nur) von der voreingestellten Zeitleiste, von Chronologie und Inhalt im Hauptmenü erreichbar. Wünschenswert wäre ein unmittelbarer Zugang (über ein Icon ?) von den Szenarien aus, um nicht immer zum Hauptmenü zurückkehren zu müssen. Umgekehrt führt aber der Informationsweg direkt vom Index in die Szenarien. Der alphabetische Index öffnet den Zugang zu einem Begriff (Person, Ort, Ereignis) über das Durchblättern der Begriffe (gelegentlich mit Unterbegriffen) selbst oder durch Eingeben eines gewünschten Suchbegriffs in einem Eingabefeld unten. Warum bestimmte Begriffe nicht auftauchen (etwa Canossa, Gotik, Inka, Maya, Romanik), darüber ließe sich streiten; mehr davon unten.

Die Hilfe bietet eine "ansprechende" Einführung in die Nutzung der CD-ROM, welche anschaulich und allgemeinverständlich auch ungeübtere Nutzer mit dem Handling vertraut macht.

Beim Ende ist vor dem Abschalten die gewohnte Sicherheitsabfrage nicht zu vergessen. Der unvermeidliche musikunterlegte Abspann läßt sich per Tastenklick (wie auch beim Vorspann) glücklicherweise verkürzen.

Die Szenarien:
Die Szenarien sind das Herzstück von HISTORICA und entscheiden letztlich über die Qualität dieser auf "Erleben" angelegten Geschichtsschau. 49 chronologisch angeordnete Szenarien beinhalten zusammenfassend die Essentials einer Epoche, einer geschichtlichen Bewegung oder einer weltgeschichtlich interessierenden Persönlichkeit. Alle einheitlich konzipierten Szenarien zeigen eine historische Karte des relevanten geographischen Gebiets, auf dem sich bis zu 20 interaktive Symbole tummeln. Diese Symbole, oft ein wenig willkürlich über die Karte verteilt, sind Links zu weiterführenden Infos über wichtige Ereignisse, historische Orte, Biographien oder sonstige soziale, wirtschaftliche, kulturelle Fakten oder Ereignisse. Hier wird Interaktion des Nutzers erwartet, und geboten werden insgesamt über 300 Fotos und Illustrationen oder 24 Minuten Videosequenzen.

Jedes Szenarium bietet einen audiovisuellen Überblick von einigen Minuten Dauer, der durch wechselnde Karten- und Bilderfolgen oder Animationen eine Gesamtschau der historischen Situation versucht. Dieser audiovisuelle Überblick rechtfertigt den Anspruch von Cornelsen software, Weltgeschichte interaktiv anzubieten, und dürfte den meisten Nutzern auch Spaß machen. Unabhängig von Umfang und Tiefe der Informationen wird generell Lust auf Zeitreisen oder -spaziergänge geweckt - ein nicht zu unterschätzendes Plus in der bildungspolitischen Wirkung neuer Medien.

Der audiovisuelle Überblick bleibt keine flüchtige Sinneserfahrung für Auge und Ohr, sondern kann als erweiterte Textfassung eigens über einen Icon aufgerufen, gelesen und ausgedruckt werden. Positiv ist festzuhalten, daß in dieser Textfassung gelegentlich markierte Links Querverbindung zu ergänzenden, weiterführenden Szenarien anbieten.

Eine Reihe von historischen Karten sind das dritte Informationsglied, um ein Szenarium zu erkunden, und in Kartenfolgen lassen sich Entwicklungsprozesse verschiedenster Art nachvollziehen. Solche Kartenabfolgen erlebt man entweder im audiovisuellen Überblick oder beim eigenen Durchblättern mit Hilfe von Pfeilen.

Eine detaillierte Chronologie (siehe oben) fächert historisch wichtige Daten als viertes Informationsmedium auf. Auch hier finden sich weiterführende markierte Links, welche beim Ausdrucken aber nicht mehr als solche erscheinen. Generell lassen sich die Texte problemlos ausdrucken, ebenso die Karten und die Chronologien der Szenarien.

Der Aufbau der Szenarien läßt auf einen Blick lokale und zeitliche Verknüpfungen erkennen. Geführt von sympathischen Stimmen wird ein Ausschnitt von Weltgeschichte erlebbar gemacht und das Interesse an weiteren Informationen geweckt. Ein sich anschließendes Aufdecken von Bildern, Texten, Grafiken, Film- und Tondokumenten ermöglicht hier, sich nach eignem Gusto fortzubilden und die vielgestaltigen Informationen zu nutzen. Zumindest ausdrucken lassen sich die Texte und Karten; alle weitergehenden multimedialen Möglichkeiten wie Übernahme von Film-, Ton- oder Videodokumenten oder gar die Verbindung ins Internet sucht man vergebens. Insofern hat sich die heutige Technik über die Erlebnisebene der CD-ROM hinausentwickelt und stuft sie als "überholt" ein. Dennoch ist für viele Nutzer der angebotene Standart ausreichend, weil die verfügbare Hardware auch nicht moderner und Qualität nicht nur das Ergebnis raffinierter Animation ist. Dennoch erwartet man, wenn interaktives Erleben angekündigt ist, wesentlich mehr. Falls eine dritte überarbeitete Auflage ( 2. Auflage 1997) kommt, wird sich die Redaktion dazu Gedanken machen müssen.

Zur Qualität der Daten:
Das Ziel der CD-ROM ist laut Begleitheft, "alle notwendigen Informationen anzubieten, um sich ein klares und verständliches Bild von einer historischen Epoche zu machen". Unter Verzicht auf eine bestimmte Intention erscheinen alle angebotenen Daten "einfach so richtig", unbefragt wahr. Unterschiedlichste Quellen, teilweise belegt, viele als Merktexte (als Lehrer denkt man an Tafelanschriebe) ohne Verfasserangabe, unterschiedlichste Bilddokumente, aus allen Kulturstufen zusammengetragen, tauchen auf und bringen überraschende Einblicke in vergangene Zeiten. Auswahlkriterien sind nicht erkennbar, höchstens die Vorstellung: Variatio delectat.

Ist die CD-ROM als Datenbank von Nutzen? Wenn man gelegentlich in der Geschichte spazierengehen will oder einen groben Überblick über eine Epoche sucht, wird man unterhaltsam informiert. Wer auf Systematik oder Vollständigkeit Wert legt oder legen muß, ist mit anderen Medien besser beraten. Aufgefallen ist die sachliche, ausgewogene Bewertung neuzeitlicher Kulturbewegungen und die zurückhaltende Darstellung kirchen- und religionsrelevanter Problemfelder wie Kreuzzüge, Reformation, Rigorismus, Hexenwahn und ähnlicher umstrittener Themen.

Die Gesamteinteilung in Frühgeschichte, Antike, Mittelalter und Neuzeit spricht den europäischen Käufer an, der sich leicht in diesem Geschichtsgerippe zurechtfindet. Geschichte ist vorwiegend Mittelmeergeschichte und nach der Völkerwanderung europäisch lokalisierte Geschichte, bis dann zu Beginn der Neuzeit Amerika auftaucht und Asien (Türken, Perser, Mongolen, Japan und der australische Kontinent). Lateinamerika erfährt erst "zwischen Diktatur und Demokratie" im 19. Jahrhundert Beachtung. Typisch für diese europäische Blickverengung ist z.B. das Fehlen der Maya- und Inkakulturen, welche im Index nicht einmal genannt sind und nur in Nebensätzen bei der Eroberung Amerikas bzw. beim europäischen Kolonialismus erwähnt werden. Afrika erscheint ebenso geschichts- wie kulturlos, abgesehen von Nordafrika, und taucht nur im Zusammenhang mit der Aufteilung unter die europäischen Großmächte nach dem Ersten Weltkrieg auf. Australien geht es nicht viel besser, es wird nur schon früher entdeckt!

Fazit:
Die HISTORICA-Weltgeschichte ist ein Angebot für Laien mit historischen Interessen und Vorkenntnissen, jedoch kein vertiefendes Werk für Fachhistoriker. Der Pädagoge findet die in Schulbüchern angebotenen bekannten Informationen, angereichert mit zahlreichen Bildern, Kleintexten und wenigen Tondokumenten - ein sprechendes Geschichtsbuch sozusagen. Der Jugendliche kann sich erste Übersichten verschaffen und gewinnt plakative Gesamtbilder über die Geschichte als Folge von Szenarien. Die "Grundzüge" der Szenarien mit der knappen weiterführenden Literatur können jede Altersstufe durch ihre Zusammenfassungen und abgewogenen Urteile zum Nach- und Weiterdenken anregen. Landen wir letztendlich doch wieder beim Leser des Anfangs, der sich Zeitleisten, Karten und Texte ausdruckt?

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
rda_languageOfExpression_redig